Sichere Videokommunikation für digitale Bürgerdienste
Dass sich der digitale Wandel auch in einer Behörde erfolgreich gestalten lässt, zeigt das Gemeinschaftsprojekt "Mein Videotermin" der Bundesagentur für Arbeit. Seit Oktober 2020 arbeiten über 1000 Lokationen der BA mit dem Videokommunikationswerkzeug. Bürger erhalten damit schnellen und unkomplizierten Zugang zu den Dienstleistungen der BA – auf jedem Endgerät, jeder Plattform und mit voller Datenkontrolle. Der Anwenderbericht schildert die zentralen Bausteine und die Implementierung des Tools.
Die Bundesagentur für Arbeit ist Deutschlands größter Dienstleister am Arbeitsmarkt. Jeden Tag berät sie Menschen zu Themen rund um den Beruf und unterstützt Millionen von Bürgern mit finanziellen Leistungen wie Arbeitslosen- und Kindergeld. Täglich finden mehr als 14.000 Beratungsgespräche statt. Infolge der "Strategie 2025" und der damit einhergehenden Digitalisierung der Beratungsleistungen der BA sollte jeder einen einfachen Zugang zu den Mitarbeitern der BA haben, auch ohne lange An- und Abreise zu einer der Geschäftsstellen.
Das alles kann nur durch einen passenden technischen Ansatz erfolgen. Deshalb entschied sich die BA im Oktober 2019 für die Entwicklung eines neuen, datenschutzkonformen Videokommunikationstools zusammen mit der Voigtmann GmbH zunächst für den Bereich der Familienkasse. So sollten in einem ersten Schritt vor allem Eltern der Zugang zu Beratungsleistungen erleichtert werden.
Höchste Sicherheit
Wichtigste Anforderungskriterien an das neue Werkzeug zur Videokommunikation waren die sehr hohen Ansprüche an Sicherheit und Datenschutz. Denn ein IT-Produkt, das für den breiten Einsatz innerhalb der Bundesbehörde entworfen wird, arbeitet mit vielen personenbezogenen Daten, die angemessen und wirksam zu schützen sind. Ein niederschwelliger Zugang zum Angebot sowie die Teilnahme an Beratungsterminen mit nur drei Klicks waren weitere wichtige Voraussetzungen. Die Beratungsdienstleistungen sollten über jedes Endgerät und jede Plattform leicht zugänglich sein.
Um höchste Sicherheit zu gewährleisten und aufgrund der Zertifizierung für die vorhandene Videokonferenzplattform Skype for Business kam die norwegische Technologieplattform Pexip als Video-Gateway zum Einsatz. Die BA hat sich für eine lokale Implementierung von Pexip entschieden. Durch diesen Ansatz hat die Behörde stets volle Kontrolle über ihre Daten und kombiniert so bewährte Funktionalitäten mit höchstem europäischem Datenschutzstandards in ihrer etablierten IT-Landschaft.
Agile Entwicklung
Ein Projektteam des IT-Systemhaus der BA konzipierte zusammen mit der Voigtmann GmbH ab Oktober 2019 die neue Videokommunikation für den Bereich der Familienkasse. Das IT-Systemhaus ist der IT-Dienstleister der BA und hat sich den reibungslosen Ablauf aller IT-Aufgaben zum Ziel gesetzt. Die 2005 gegründete Voigtmann GmbH ist spezialisiert auf Software und Dienstleistungen im Bereich der skalierbaren und datenschutzkonformen Videokommunikation. Das Vorgehen der beiden zur Entwicklung eines DSGVO-konformen Werkzeugs erfolgte agil und iterativ.
Die inhaltliche Gestaltung des Themas übernahm ein kleines Kernteam des IT-Systemhauses. Einzelne Schritte wurden immer wieder Reviews unterzogen und kontinuierlich weiterentwickelt. Wichtig war, ein Produkt zu erarbeiten, das auf breiter Basis Akzeptanz findet – sowohl bei den Mitarbeitern als auch bei den Kunden. Während der Implementierungsphase hat die Voigtmann GmbH relevante Teile der BA-Infrastruktur in einem eigenen Rechenzentrum nachgestellt. So ließen sich einzelne Prozessschritte durch Testteams vor der Implementierung prüfen und verifizieren.
Digitalisierung im Schnelldurchgang
Anfang 2020 stand die BA wie alle Behörden vor neuen Herausforderungen, denn aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie mussten alle Präsenztermine abgesagt werden. Dennoch sollten die Mitarbeiter die Kunden erreichen können. "Die Pandemie hat die Videokommunikation massiv beschleunigt und skaliert", so Lucas Albracht, Produktverantwortlicher "Mein Videotermin" bei der Bundesagentur für Arbeit. "Durch diesen Turbo sind wir mit dem Projekt heute dort, wo wir sonst erst in zirka fünf Jahren wären." In eigens eingerichteten virtuellen Barcamps wurden Denkräume ermöglicht und die Investition der letzten Jahre in agile Arbeitsweisen konnte Früchte tragen.
Im März 2020 gab der Vorstand der BA grünes Licht für die Einführung der Videokommunikation in der Berufsberatung vor dem Erwerbsleben und der beruflichen Rehabilitation und Teilhabe als ergänzendes Angebot zur persönlichen Beratung. Durch die vorhandenen Entwicklungen im Bereich der Familienkasse startete das BA-Projekt-Team zusammen mit der Voigtmann GmbH im Mai 2020 damit, die Videokommunikation auf die anderen Rechtsbereiche auszuweiten.
Mantelanwendung mit breitem Funktionsumfang
Dies war zugleich der Startschuss für den IT-Architekten Voigtmann GmbH, eine umfassende Mantelanwendung zu entwickeln und zu implementieren, die das bisherige System der Videokommunikation um vielfältige Funktionen ergänzt und den Schutz der Daten sicherstellt. So sorgt die Mantelanwendung dank einer zuverlässigen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung dafür, dass zu keinem Zeitpunkt personenbezogene Daten die Infrastruktur der BA verlassen.
Zudem integriert die Anwendung Funktionen von individualisierten Korrespondenzen und Testanrufen bis hin zu Feedbackmöglichkeiten. Audio-, Video- und Chatfunktionen bilden alle Facetten des Beratungstermins ab. Gegenüber dem Telefon wird das Beratungsgespräch durch visuelle Eindrücke ergänzt und gestaltet sich zudem durch Funktionen wie das Bildschirmspiegeln interaktiver.
Mit drei Klicks im Gespräch
Die Handhabung von "Mein Videotermin" ist besonders einfach gehalten und erfordert keine technischen Vorkenntnisse. Anwender vereinbaren auf der Oberfläche mit wenigen Klicks einen Termin für den gewünschten Zeitslot. Anschließend erhalten sie automatisch eine personalisierte Erinnerungs-E-Mail mit einem entsprechenden Zugangslink. In nur drei Klicks gelangen die Kunden der BA dann zum virtuellen Beratungstermin: Mit dem ersten Klick geben sie ihre Zustimmung zur Videokommunikation, mit dem Zweiten lässt sich das verwendete Gerät optional auf seine Eignung überprüfen und mit dem dritten Klick betreten sie den Beratungsraum.
Während die Besucher nun im Wartebereich auf Einlass seitens der BA-Mitarbeiter warten, holen sich diese auf der anderen Seite die erforderlichen Unterlagen, beispielsweise eine elektronische Akte, für den Termin und lassen den Besucher für das Gespräch zu. Durch die von der Voigtmann GmbH entwickelten Webapp und dem Standard-WebRTC funktioniert der Videotermin unabhängig vom Browser, vom Endgerät oder vom Betriebssystem. Ein sicherheitskritischer Download eines Programms oder Plug-ins sind nicht erforderlich.
Ein weiterer wichtiger Funktionsbaustein ist, dass Nutzer auf Beratungsdienste selbst in Umgebungen mit geringer Bandbreite zugreifen können, indem sie die Wahl zwischen hoher und niedriger Bildqualität bei ihren mobilen Endgeräten haben. "Die Kunden sind sehr froh, die Termine von Zuhause wahrnehmen zu können. Vor allem die Funktion des Bildschirmteilens wird sehr geschätzt, um mit dem Mitarbeiter gemeinsam Dokumente bearbeiten zu können", berichtet Albracht.
Kontinuierliche Optimierungen
Am Ende jedes Videogesprächs werden in einer Miniumfrage die Nutzer zu ihrer Zufriedenheit mit der digitalen Beratung befragt und eine Weiterempfehlungsquote ermittelt. Diese Ergebnisse geben wichtige Hinweise darauf, welche Art der Kommunikation Nutzer bevorzugen und wie sich der Service noch weiter verbessern lässt. In bisherigen Befragungen empfehlen 95 Prozent der Kunden das Videotelefonie-Werkzeug der Bundesagentur für Arbeit weiter. Rund 73 Prozent bevorzugen das nächste Beratungsgespräch per Video zu führen oder sind dafür offen.
Darüber hinaus zählt das System automatisch virtuelle Anfragen und durchgeführte Gesprächsminuten, wodurch die Akzeptanz digitaler Terminangebote messbar wird. Bei der BA haben mit Stand Februar 2022 bereits mehr als 160.000 Gespräche mit über sechs Millionen Gesprächsminuten stattgefunden "Die Mitarbeiter berichten von einer entspannten Atmosphäre seitens der Kunden durch den Einsatz von 'Mein Videotermin'", resümiert Albracht. "Durch das Werkzeug entfällt der Anreisestress. Deshalb setzen wir auf diese Art von Beratungen auch noch nach der Pandemie und skalieren das Produkt weiter", so Albracht.
Fazit
Durch "Mein Videotermin" können die BA-Mitarbeiter selbst in der Pandemie die Kundenberatung online aufrechterhalten. Die Bundesagentur für Arbeit und die Voigtmann GmbH werden das Werkzeug weiter ausbauen und weiteren Bereichen der BA zur Verfügung stellen. So gibt es für den Rechtsbereich Grundsicherung aktuell einen Modellversuch mit 46 Jobcentern. Zudem sollen noch weitere Geschäftsprozesse funktional abgebildet werden.
16.03.2022/ln/Peter Voigtmann, Senior Enterprise Architect und CEO bei der Voigtmann GmbH